IV.

Belus.

Frau von La Mothe täuschte sich nicht, wenn sie glaubte, das Cabriolet, das sie hatte verschwinden sehen, habe die wohlthätigen Damen entführt.

Die zwei Damen hatten wirklich unten vor dem Hause ein Cabriolet gefunden, wie man es damals baute, nämlich mit hohen Rädern, leichtem Kasten, erhabenem Spritzleder und einem bequemen Sitzchen für den Jokey, der sich hinten hielt.

Dieses Cabriolet, bespannt mit einem herrlichen irischen Pferd mit kurzem Schweif, fleischigem Kreuz, und von braunrother Farbe, war nach der Rue Saint-Claude von demselben Bedienten, dem Führer des Schlittens, gebracht worden, den die ältere Dame, wie wir oben bemerkt, Weber genannt hatte.

Weber hielt das Pferd am Gebiß, als die Damen kamen: er suchte die Ungeduld des hitzigen Thiers zu mäßigen, das mit einem nervigen Fuß den Schnee stampfte, der sich seit der Wiederkehr der Nacht allmälig verhärtete.

Sobald die beiden Damen erschienen, sagte Weber!

»Madame, ich hatte Scipio bestellen lassen, der sehr sanft und leicht zu führen ist; doch Scipio hat sich gestern Abend verrenkt; es blieb nur noch Belus und Belus ist schwierig.«

Oh! für mich. Ihr wißt das, Weber,« erwiderte die ältere der zwei Damen, »für mich ist das ohne Belang; ich habe eine kräftige Hand und bin an das Fahren gewöhnt.«

»Ich weiß, daß Madame sehr gut fährt, aber die Wege sind äußerst schlecht. Wohin fährt Madame?«

»Nach Versailles.«

»Ueber die Boulevards also?«

»Nein, Weber, es gefriert und die Boulevards werden voll Glatteis sein. Die Straßen müssen, da Tausende von Fußgängern den Schnee erwärmen, weniger Widerstand bieten. Geschwind, Weber, geschwind!«

Weber hielt das Pferd, während die Damen behend in das Cabriolet stiegen; dann schwang er sich hinten auf und meldete, daß er seinen Sitz eingenommen.

Die ältere der beiden Damen wandte sich nun an ihre Gefährtin und sagte:

»Was denken Sie von dieser Gräfin, Andree?«

Und während sie so sprach, ließ sie dem Pferd die Zügel schießen, und dieses jagte wie ein Blitz um die Ecke der Rue Saint-Louis.

Es war dieß der Augenblick, wo Frau von La Mothe das Fenster öffnete, um die beiden Damen zurückzurufen.

»Madame,« erwiderte diejenige von den zwei Frauen, welche man Andree nannte, »ich denke, Frau von La Mothe ist arm und unglücklich.«

»Gut erzogen, nicht wahr?«

»Ja, ohne Zweifel.«

»Sie sind kalt in Bezug auf diese Frau, Andree.«

»Sie hat, wenn ich es Ihnen gestehen soll, etwas Verschmitztes in ihrer Physiognomie, was mir mißfällt.«

»Oh! ich weiß, Sie sind mißtrauisch, Andree, und um Ihnen zu gefallen, muß man Alles vereinigen. Ich, ich finde diese kleine Gräfin interessant und einfach in ihrem Stolz, wie in ihrer Demuth.«

»Es ist sehr erfreulich für sie, Madame, daß sie das Glück gehabt hat, Ihnen zu gefallen.«

»Aufgepaßt!« rief die Dame lebhaft, indem sie ihr Pferd, das einen Lastträger umzuwerfen im Begriff war, auf die Seite zog.

»Aufgepaßt!« schrie Weber mit einer Stentorsstimme.

Und das Cabriolet fuhr weiter.

Nun hörte man die Verwünschungen des Menschen, der den Rädern entgangen war, und mehrere echoartig brummende Stimmen erhoben sogleich ein gegen das Cabriolet äußerst feindseliges Geschrei.

Doch in wenigen Secunden brachte Belus zwischen seine Gebieterin und den Lästerer den ganzen Raum, der sich von der Rue Sainte-Catherine bis zur Place Vaudoyer erstreckt.

Hier bildet der Weg bekanntlich eine Gabel, aber die geschickte Führerin warf sich entschlossen in die Rue de la Tixeranderie, eine volkreiche, schmale und sehr wenig aristocratische Straße.

Trotz der sehr wiederholten » Aufgepaßt!« die sie von sich gab, trotz des Brüllens von Weber, hörte man daher nichts als wüthende Ausrufungen der Fußgänger.

»Ohl das Cabriolet! ... Nieder mit dem Cabriolet!«

Belus blieb unaufhaltsam, und seine Führerin ließ ihn trotz ihrer kindlich zarten Hand rasch und ausnehmend geschickt in den Lachen flüssigen Schnees oder auf den noch gefährlicheren Eisanhäufungen laufen, welche Gossen und Pflasterabschüsse bildeten.

Es geschah indessen wider alles Erwarten kein Unglück; eine glänzende Laterne sandte ihre Strahlen voraus, und dieß war ein Luxus der Vorsicht, den die Polizei den Cabriolets jener Zeit nicht vorgeschrieben hatte.

Es geschah also lein Unglück, sagen wir. Kein Wagen wurde angehakt, kein Weichstein gestreift, kein Vorübergehender berührt; es war dieß ein Wunder, und dennoch folgten sich die Schreie und Drohungen unablässig.

Das Cabriolet fuhr mit derselben Geschwindigkeit und demselben Glück durch die Rue Mederic, die Rue Saint-Martin und die Rue Aubry-le-Boucher.

Unsere Leser denken vielleicht, als sich das aristocratische Gefährt den civilisirten Quartieren genähert, werde der Haß gegen dasselbe minder heftig geworden sein. Aber im Gegentheil; kaum kam Belus in die Rue de la Feronnerie, als Weber, beständig durch das Geschrei des Pöbels verfolgt, Gruppen auf dem Wege des Cabriolets erblickte. Mehrere Personen machten sogar Miene, ihm nachzulaufen, um es einzuholen.

Weber wollte indessen seine Gebieterin nicht beunruhigen. Er bemerkte, wie viel Kaltblütigkeit und Gewandtheit sie entwickelte, wie geschickt sie durch alle diese träge oder lebendige Hindernisse durchschlüpfte, die dem Pariser Kutscher zugleich zur Verzweiflung und zum Triumph gereichen.

Fest auf seinen stählernen Häksen war Belus nicht einmal ausgeglitscht, so sehr wußte die Hand, die ihn führte, die Abhänge und Gefährlichkeiten des Terrains für ihn vorherzusehen.

Man murrte nicht mehr um das Cabriolet her, man schrie: die Dame, welche die Zügel hielt, bemerkte es, und da sie diese Feindseligkeit einer alltäglichen Ursache, wie der Strenge der Zeiten oder auch der Mißstimmung zuschrieb, so beschloß sie, die Prüfung abzukürzen.

Sie schnalzte mit der Junge, und bei dieser Aufmunterung allein bebte Belus und ging vom kurzen Trab in den gestreckten über.

Die Buben flohen, die Fußgänger warfen sich auf die Seite.

Das: »Aufgepaßt! aufgepaßt! hörte nicht auf.

Das Cabriolet berührte beinahe das Palais-Royal und war an der Rue du Coq-Saint-Honoré vorübergefahren, vor welcher der schönste Schneeobelisk noch ziemlich stolz seinen durch das Aufthauen verminderten Gipfel, einer Stange Gerstenzucker ähnlich, welche die Kinder durch Saugen in Spitzen verwandeln, emporstreckte.

Ueber diesem Obelisk prangte ein Büschel von allerdings etwas verwitterten Bändern, welche eine Tafel hielten, auf die der öffentliche Schreiber des Quartiers mit großen Buchstaben folgende Strophe gezeichnet hatte, die zwischen zwei Laternen gaukelte:

Reine dont la beauté surpasse les appas,

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